Ankommen in der Stille – Teil 1
- Kat S.
- 28. Okt. 2022
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 30. Dez. 2022

Am 22. April war es endlich soweit und mein Wunsch, den Benediktus Hof in Holzkirchen zu besuchen wurde wahr. Ich hatte mich für den Zen-Einführungskurs angemeldet und war neugierig, diesen Ort zu besuchen. Auch wenn der Benediktus Hof eines von Europa größten Bildungshäusern für Meditation und Achtsamkeit ist, pflegte ich doch zu sagen, dass ich mich ins Kloster begebe. Dies entsprach in der Vergangenheit auch der Wahrheit, wurde der Hof doch im 8. Jahrhundert als Benediktinerkloster gegründet. Heute jedoch versteht er sich als überkonfessionelles und überreligiöse Bildungshaus, mit dem Schwerpunkt des Zen Buddhismus.
Ich betrat das Gelände um 16 Uhr nachmittags und wurde sofort in Stille gehüllt. An dieses Prinzip der Ruhe erinnern mich kleine Smileys, die den Finger vor den Mund halten und damit zum Schweigen aufrufen. Ich bezog mein einfaches jedoch heimeliges Einzelzimmer und studierte den Programmplan.
Um 17.50 Uhr versammelte sich die Gemeinschaft zum Abendessen, welches ebenfalls im Schweigen eingenommen wird. Hier kam ich erstmals in Kontakt mit der Geste der Verbeugung – vor dem Essen, dem Tisch, vor allem dem Moment der Gegenwärtigkeit. Ein Gong läutete das Essen in der anonymen, stillen Gesellschaft ein. Gleich darauf wartete Arbeit auf mich – im wahrsten Sinne des Wortes. Zu jedem Aufenthalt hier gehört nämlich auch eine Stunde freiwillige Arbeit pro Tag. Die Liste der Tätigkeiten, lag am Empfang aus und ich wählte den abendlichen Tischdienst. Er erinnert mich an die alten Zeiten im Kindergarten, wo ich ebenfalls gerne Teller und Tassen zusammen geräumt und sortiert habe. Zugegeben, ein leichtes Spiel für mich. Andere Arbeiten bezogen sich auf das Putzen und Arbeiten im Haus und Garten.
Die erste Abendsession im Zazen folgte ab 19.30 Uhr. Die beiden Kursleiter – von Willigis Jäger ernannte Zen-Lehrer - erläuterten zunächst die möglichen Sitzhaltungen der Meditation. Und hier tauchte für mich der erste Satz auf, der sich zwar nur auf die Konsequenz des langen Sitzes bezog, jedoch viel bedeutsamer für mich wurde.
„Der Schmerz ist unausweichlich.“
Wie wahr. Es ist egal, wie unser Leben verläuft, was wir besitzen oder brauchen, jeder von uns macht die Erfahrung tiefen Schmerzes, in Form von Wut, Enttäuschung, Trauer oder Verzweiflung. Viele Gesichter und viele Formen kann er annehmen. Zen rät uns dazu, sich von der äußeren Form zu lösen, welche von unserem konzeptionellen Verstand entworfen wurde. Stattdessen heißt es, tief einzutauchen in die Erfahrung des Hier und Jetzt und hinter das zu beobachten, was die Gedanken produzieren. Als jeder seine eigene Meditationshaltung gefunden hatte, wurde das Zazen mit drei aufeinander folgenden Gongs mit der Klangschale eingeläutet. Zazen, bezeichnet das Sitzen in Stille. Es gibt keine Meditationsanleitung, keine Worte, keine Geräusche. Ich sitze in Stille mit 30 anderen Erwachsenen im Zendo – dem Meditationsraum – und tue nichts. Dieses Nichts ist für meinen Geist so etwas wie eine Einladung alles Mögliche zu produzieren, was ich in den folgenden Tagen immer wieder erleben werde.
Wie leicht wäre es, in dem Widerstand zu gehen und die eigenen Gedanken einfach ausknipsen zu wollen. Wie leicht wäre es, sich dem inneren Schimpfen und Urteilen hinzugeben. Wie leicht wäre es, einfach abzubrechen und aufzustehen. Zahlreiche Widerstände treten in der Meditation auf – sei es auf körperlicher, gedanklicher oder emotionaler Ebene. Ein Cocktail an Widerständen und Ablenkungen produziert mein Verstand und lädt mich ein, mich dem hinzugeben. Doch mein Zen-Lehrer sagt und erinnert mich an etwas Wesentliches:
„Der Widerstand, gegen das, was ist, verstärkt unser Leiden.“
Ein Satz, der mir schon vor langer Zeit einen Moment der Erkenntnis gebracht hat, trifft mich hier nun wieder mitten ins Herz. Und natürlich nimmt mein Verstand gerne die Einladung an und fragt sich, in welchen Bereichen meines Lebens ich gerade im Widerstand bin. Ja, es sind die Teile, die mich natürlich auch sehr „leiden“ lassen. Zen meint: „Annehmen, was ist.“
Und hier taucht die nächste Frage in mir auf: wenn ich annehme, was ist, wie kann dann Veränderung stattfinden? Soll ich es einfach hinnehmen, dass gerade mein Herd kaputt ist? Oder sollen Menschen es einfach annehmen, wenn ihnen Unrecht zugefügt wird, sie in unerfüllten Beziehungen leben oder einen Job machen, der ihnen nicht guttut? Einfach annehmen? Nö! Wenn Zen sagt, dass wir annehmen, was ist – ist zuerst die Beobachtung dran, dessen, was ist. Und zwar nicht das Geschehen im Außen, sondern in uns! Was ist in mir? – in Bezug auf den kaputten Herd, den stressigen Job, das anstrengende Projekt? Und wenn diese Antwort gefunden ist, gilt es, nicht in den Modus des Wegmachens oder Wegschiebens zu gehen, sondern anzunehmen, was auftaucht. Es da sein lassen, annehmen, freundlich begrüßen, willkommen heißen, den Widerstand auflösen.
Es gongt zweimal. Das erste Zazen des Abends ist beendet. Es folgt eine Erläuterung zur Gehmeditation – Kinhin – genannt. Wir dürfen hier nochmal neu das Gehen lernen, denkt es in mir. Doch es ist vor allem eine willkommene Abwechslung zum Sitzen. Kinhin bedeutet, entweder zügig oder sehr, sehr langsam hintereinander im Kreis zu gehen. Das Tempo gibt der Zen-Lehrer vor und die Gruppe setzt sich im Zendo in Bewegung. Ich habe keine Ahnung, wie lange wir gehen oder sitzen – typisch für mich, verliere ich während der Übung jedes Zeitgefühl. Es ist mir auch egal – besser gesagt, die Ungeduld holt mich heute nicht ein. Ich sitze, wenn ich sitze, ich gehe, wenn ich gehe. Das Vertrauen liegt ganz bei den Zen-Lehrern und ich erlaube mir, mich ins Da-Sein hinein fallen zu lassen. Doch nun, wieder ein akustisches Signal. Zwei Holzklötzer werden aneinandergeschlagen und nach Aufforderung geht jeder auf seinen zugewiesenen Platz zurück. Eine neue Einheit Zazen beginnt wieder mit drei Gongs. Danach folgt wieder Kinhin. Dieses Prinzip des ständigen Wechsels wird mich nun das ganze Wochenende begleiten.
Ich merke in mir, dass die Signale von mir als Befehle gewertet werden: steh auf, setz dich hin, gehe los, bleibe stehen, verbeuge dich – alles wird akustisch ritualisiert. Ein Teil in mir „fühlt“ sich wie ein kleiner Soldat und Gedanken an Gehorsam, Anpassung, Konformität tauchen in mir auf. Es behagt mir nicht und ich frage mich, was passieren würde, wenn ich einfach in die entgegengesetzte Richtung gehen würde – gegen den Uhrzeigersinn. Doch ich traue mich nicht, ich frage auch nicht. Ich spüre jedoch, wie es mir nicht behagt und rebellische Gedanken in mir auftauchen. Auch hier darf ich wieder lernen: was ist? Was nehme ich jetzt an? Welche Konzepte schmiedet mein Verstand, hinter die ich nun zurücktreten darf? Schließlich endet der erste Abend mit einem letzten Ritual: die Zen-Lehrer Klopfen mehrmalig auf eine Holzplatte an der Wand. Es folgt ein laut anschwellender Schlag auf die riesige Gongscheibe im Raum und eine kurze Rezitation angelehnt an die Metta-Meditation.
„Mögen alle Lebewesen frei von Leid und glücklich sein.“
Für heute bin ich es. Doch mein Verstand prophezeit mir, dass das morgen früh anders aussehen würde. Ich bin gespannt, ob er Recht behält. Für heute sage ich dem Benediktus Hof gute Nacht.